Neue Primärversorgungszentren: Gesundheitsberufe rücken näher am Patienten zusammen

Am 28. Jänner 2017 lud „AM Plus – Initiative für Allgemeinmedizin und Gesundheit“, gemeinsam mit zahlreichen Kooperationspartnern,  Ärzt/innen  sowie VertreterInnen der Pflege und der medizinisch-technischen Berufsgruppen zur Tagung „Team Gesundheit – Das Ineinandergreifen der Gesundheitsberufe als Vorteil für Patientinnen und Patienten“ in das Seminarzentrum des Berufsverbands der Österreichischen PsychologInnen (BÖP). Die Tagung wurde als praxisnahe Fortbildung angelegt und verfolgte das Ziel, Primärversorgung neu (PHC) begreifbar zu machen und Teamarbeit zu fördern.

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Nach Begrüßung der Teilnehmenden durch Dr. Erwin Rebhandl, Präsident von AM Plus und Allgemeinmediziner, und DDr. Cornel Binder-Kriegelstein, Vizepräsident des Berufsverbands Österreichischer PsychologInnen, folgte die Key lecture von Dr. Ernest Pichlbauer, Experte für Gesundheitspolitik und strategische Planung, zum Thema „Was bringt Primärversorgung neu – Vorteile für das Gesundheitssystem und die Patienten“.

Die Fortbildungsveranstaltung umfasste weiters eine Kurzvorstellung der Gesundheitsberufe, einen Vortrag zu den Rahmenbedingungen für gelingende Teamarbeit sowie interaktive Elemente wie eine Teambesprechung in der Praxis anhand eines Fallbeispiels eines fiktiven Patienten und World Café-Falldiskussionen mit abschließender Ergebnispräsentation im Plenum.

 

Praxisnahe Förderung von PHC

Das Konzept der Primärversorgung neu wurde im Rahmen der Gesundheitsreform beschlossen. Aus Sicht von AM Plus besteht in der praktischen Umsetzung jedoch Verbesserungsbedarf. Dr. Erwin Rebhandl hierzu: „AM Plus engagiert sich bereits seit vielen Jahren für die Verbesserung der medizinischen Versorgungs- und Betreuungssituation von Patienten. Zahllose internationale Untersuchungen legen die Sinnhaftigkeit einer stärkeren Ausrichtung auf die wohnortnahe dezentrale medizinische Primärversorgung nahe, die im Rahmen der Gesundheitsreform auch in Österreich beschlossen wurde. Eine moderne medizinische Primärversorgung ist aus Sicht von AM Plus für Österreich alternativlos, deren Umsetzung erfolgt jedoch schleppend. Aus diesem Grund wollen wir zusammen mit unseren Kooperationspartnern mit der Tagung `Team Gesundheit´ einen konkreten Beitrag zur verstärkten interdisziplinären Zusammenarbeit leisten.“

 

Einen zentralen Stellenwert in der Primärversorgung neu nimmt die interdisziplinäre, multiprofessionelle Zusammenarbeit ein. Deren Förderung stand im zentralen Interesse der praxisnahen Fortbildungsveranstaltung. „Im Sinne des PHC-Konzepts rücken die Gesundheitsberufe näher zusammen. Die Tagung soll Ärztinnen und Ärzte und alle relevanten Gesundheitsberufe zur integrierten Kooperation motivieren. Durch das praxisnahe und interaktive Setting der Veranstaltung wird Primärversorgung neu in der Praxis begreifbar und Teamarbeit gefördert“, so Dr. Erwin Rebhandl.

 

Vorteile durch PHC

In seiner Key lecture strich Dr. Ernest Pichlbauer (Bild) hervor, dass es sich bei PHC um ein international etabliertes Konzept handelt, welches großes Potenzial zur Verbesserung der Betreuungs- und Versorgungssituation von Patienten, aber auch für das österreichische Gesundheitswesen an sich birgt. „Primary Health Care ist – obwohl schon 40 Jahre alt und das wohl erfolgreichste Versorgungskonzept moderner Gesundheitssysteme – hierzulande fast unbekannt. Die Idee war so einfach wie genial: Um ein vernünftiges Gesundheitssystem errichten zu können, sollte man möglichst viele Gesundheitsprobleme – was sehr viel mehr ist, als nur Krankheitsprobleme – wohnortnah zu lösen versuchen; wohnortnah beginnt in den vier Wänden des Patienten.

Pichlbauer Dr. Ernest 28-01-2017

Bei PHC geht es um ambulante, wohnortnahe medizinische, pflegerische und therapeutische Betreuung der Bevölkerung durch ein PHC-Team, in dem, neben dem Hausarzt (der die wichtigste Rolle spielen sollte) Physiotherapeuten genauso arbeiten wie Pflegefachkräfte, Sozialarbeiter und Psychologen.

 

Das Spektrum der rein ambulanten Versorgung sollte von der Prävention über Rehabilitation (auch für alte Menschen!) bis zu Pflege reichen. „Es ist verblüffend, was mit solchen Teams erreicht werden kann. Die Zahl der Spitalsaufenthalte sinkt ebenso wie die der Überweisungen zum Facharzt. Fehldiagnosen und Fehlbehandlungen werden seltener. Die Patienten, vor allem wenn sie chronisch krank sind, leben länger und bei besserer Gesundheit, und jene Krebsformen, die man bei Früherkennung gut behandeln kann (z.B.: Brust-, Dickdarmkrebs aber auch den schwarzen Hautkrebs u.a.m.) bringen weniger Menschen um. Zudem sinken auch die Gesamtkosten der Gesundheitsversorgung“, fasste Dr. Ernest Pichlbauer die Vorteile der ´Primärversorgung neu´ zusammen.

 

Stärkung von Aus- und Fortbildung

Auch für die ärztliche Aus- und Fortbildung birgt das Konzept der Primärversorgung Potenzial für Verbesserungen. Univ.-Prof. Dr. Manfred Maier, ehemaliger Vorstand der Abteilung Allgemein- und Familienmedizin am Zentrum für Public Health an der MedUni Wien, hierzu: „Für Studierende der Medizin und Ärzte in Weiterbildung zum Arzt für Allgemeinmedizin eröffnet die Mitarbeit in der Lehrpraxis in einem PHC völlig neue Perspektiven: die Konzentration auf ärztliche Tätigkeiten, deren Beobachtung, Hinterfragen, Erlernen und Evaluieren ist leichter möglich, wobei es i.d.R. mehr als einen Lehrpraxisleiter als Bezugsperson geben wird, von der man lernen kann.

 

Neu ist das Kennenlernen und Tätigwerden in einem multiprofessionellen Team aus mehreren Gesundheitsberufen und die Möglichkeit, deren fachliche Kompetenzen zu erkennen sowie ihren Einsatz zum Wohl der Patienten unmittelbar mitzuerleben und schätzen zu lernen. Die medizinische Aus- und Weiterbildung wird damit auf internationalen Standard gebracht. Internationale Beispiele zeigen, dass PHC nach internationalem Standard mit umfassendem Aufgabenbereich, flexiblen Arbeitszeiten und einer zeitgemäßen Form der Honorierung das Patienten- und Krankheitsmanagement optimiert, Krankenhauseinweisungen reduziert, Prävention fördert, die Orientierung der Patienten im Gesundheitssystem verbessert und die Zufriedenheit der Gesundheitsberufe vergrößert. Damit wird der Stellenwert der Primärversorgung für Patienten, Leistungserbringer und Zahler gleichermaßen erhöht und die Primärversorgung nachhaltig gestärkt. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Team mit der Möglichkeit der individuellen Schwerpunktsetzung für jeden Mitarbeiter kommt den Vorstellungen der jüngeren Generation sehr entgegen, die Attraktivität des Berufs wird deutlich verbessert.“

 World Cafe neu

Verbesserungen durch Teamarbeit

Der stetige medizinische Fortschritt erhöht nicht nur das Wissen um Erkrankungen und Gesundung, sondern auch die Komplexität der Betreuung von Patienten. Interdisziplinäre Zusammenarbeit ist deshalb von größter Bedeutung. Hier gilt es, die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen, wodurch letztlich sowohl Patienten als auch Mitarbeiter in Gesundheitsberufen profitieren. „Eine ganzheitliche Patientenbehandlung kann heute kaum von einer Spezialistin oder einem Spezialisten alleine bewerkstelligt werden. Multi- und besser noch interprofessionelle Teamarbeit verspricht hier einen wirkungsvollen Lösungsansatz.

 

Gleichzeitig macht ein solcher Ansatz die Berufsgruppenangehörigen zufriedener, da sie in der Zusammenarbeit beruflichen Sinn sehen und ihre jeweiligen Dienstleistungen erkennbar eingebunden werden. Multiprofessionelle Teams im Gesundheitswesen organisieren sich nicht von selbst.  Ineffektive Kommunikation genauso wie suboptimale Information und Mitwirkung sind die am häufigsten genannten Ursachen für unerwartete Geschehnisse bei der Patientenbehandlung und auch für Stress bei Beschäftigten verantwortlich.

 

Gelungene Teamarbeit benötigt persönliche Bereitschaft und Kooperationskompetenz und es braucht entsprechende Strukturen – Teamgröße, Zeitressourcen für Kooperation, gemeinsame Klärung von Zielen, Rollen und Prozessen, unterstützende Informationstechnologie, Besprechungsinstrumente, soziale Teamentwicklungsaktionen und vieles mehr. „Wenn die Einführung von Teamarbeit und eine kontinuierliche Reflexion und Pflege dazu gelingt, zeigt sich, dass interprofessionelle Teamarbeit nicht nur energiesparend ist, sondern auch eine Arbeitsweise, wo Energie zugunsten aller Beteiligten gewonnen werden kann“, resümierte die Arbeits-, Organisations- und Sozialpsychologin  Mag. Brigitta Gruber.

 

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Über „Team Gesundheit“

Die Tagung „Team Gesundheit“ wurde von AM Plus initiiert und findet in Kooperation mit dem Berufsverband Österreichischer PsychologInnen, dem Österreichischen Apothekerverband, dem Verband der Diätologen Österreichs, Ergotherapie Austria, Logopädie Austria, Physio Austria und dem Österreichischen Hebammengremium sowie mit der Unterstützung von folgenden Institutionen und Unternehmen statt: Grünenthal GmbH, Niederösterreichische Gebietskrankenkasse, Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft und Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger. Ein besonderer Dank gilt dem Berufsverband der Österreichischen PsychologInnen, der die Räumlichkeiten der Veranstaltung dankenswerterweise zur Verfügung gestellt hat.

Über AM Plus

AM Plus setzt sich für eine Stärkung und Verbesserung der wohnortnahen und niederschwelligen Gesundheitsversorgung der Bevölkerung ein. Kernelement dabei ist die Rolle der Allgemeinmedizin als verantwortungsvolle und zentrale Drehscheibe zwischen der Bevölkerung und anderen Anbietern von Gesundheitsleistungen im Sinne einer integrierten Versorgung. Im Zusammenwirken mit Wissenschaft, Fachgesellschaften, Patientenorganisationen, Sozialversicherung, Interessensvertretungen und Politik fördert AM Plus den Dialog zwischen Verantwortungsträgern und arbeitet aktiv an der Formulierung und Umsetzung konkreter Lösungen.

 

 

Nähere Infos zur Initiative „AM Puls“ finden Sie hier.

 

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