Was im Frühjahr 2018 als Modellversuch begann, mündete in einem Rückgang der stationären Aufnahmen um 80 Prozent. Mobile Teams der Uniklinik für Psychiatrie und des Klinikums Schwarzach betreuen Menschen mit psychischen Krankheiten in deren eigenen vier Wänden. Zusammen mit der ausgebauten tagesklinischen Betreuung verbessert dies die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung und entlastet zugleich die Spitäler, wie der Pressedienst des Landes berichtet.
„Durch die tagesklinische und häusliche Versorgung soll der sogenannte ´Drehtüreffekt´ verhindert werden“, so Gesundheits-Landesrat Christian Stöckl und Sozial-Landesrat Heinrich Schellhorn. Im Sinne einer weiteren Stärkung der Integrierten Versorgung sollen durch die Krankenkassen mehr psychiatrische Stellen im niedergelassenen Bereich geschaffen werden.
Insgesamt wurden 174 Patien*tinnen betreut. „Es konnte die stationäre Aufenthaltsdauer von Patient*innen um 80 Prozent reduziert werden – von durchschnittlich 73 Tagen auf 16 Tage“, berichtet Wolfgang Aichhorn, Vorstand der Uniklinik für Psychiatrie. Besonders erfreulich sei auch, dass die Zahl der Unterbringungen für diese Gruppe um 70 Prozent reduziert werden konnte, ergänzt Marc Keglevic, Primar der Abteilung für Psychiatrie am Kardinal Schwarzenberg Klinikum: „Das heißt, nicht nur die Zahl der Aufnahmen insgesamt, sondern auch die Aufnahmen gegen den Willen der Betroffenen können durch die IVS deutlich reduziert werden.“
Gesundheitszustand verbessert sich deutlich, die Lebensqualität steigt
Zudem ergebe die Auswertung der Psychodiagnostik deutlich positive Befunde, wie die beiden Psychiater erklären: „Der allgemeine Gesundheitszustand verbessert sich signifikant. Auch die Lebensqualität und das ‚Funktionsniveau‘ unserer Patient*innen steigen tendenziell an.“ Die inzwischen gut etablierte Struktur der Integrierten Versorgung habe sich gerade in den vergangenen (Corona-)Wochen und Monaten von unschätzbarer Bedeutung in der Behandlung von Personen mit psychischen Krankheiten bewährt., so die Landesregierung in einer Presseaussendung.
Bundesland Wien: Vorreiter der Psychiatrie-Reform seit 1979
Diese ebenso erfreulichen wie wissenschaftlich längst schon evidenzbasierten Erkenntnisse aus Salzburg sind jedoch keineswegs neu, sondern bereits 40 Jahre alt. Grund dafür ist die Tatsache, dass bereits seit dem Jahr 1979 im Rahmen der großen „Wiener Psychiatriereform“ unter der fachlichen Leitung des renommierten Psychiaters Dr. Stephan Rudas (+ 2010) und mit tatkräftiger Unterstützung des psychiatrischen Pflege-Teams unter Leitung des damaligen Oberpflegers Prof. Erwin Böhm (80) sowohl die „Übergangspflege“ (= Re-Patriierung von klinisch-stationären Psychiatriepatienten in deren häusliches und soziales Umfeld) schrittweise mit hunderten Patient*innen erfolgreich umgesetzt, als auch deren weitere häusliche und bei Bedarf auch tagesklinische Betreuung im Wege des neu gegründeten „Psychosozialen Dienstes der Stadt Wien (PSD)“ gewährleistet wurde und bis heute wird.
Die Verdienste des engagierten Psychiatrischen Fachpflegers Erwin Böhm im Zuge der Psychiatrie-Reform wurden vor 20 Jahren vom Bundespräsidenten mit dem Berufstitel „Professor“ gewürdigt, kurz zuvor erhielt Böhm auch den selten vergebenen „LAZARUS Ehrenpreis für sein Lebenswerk“.
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Zeitgleich erfolgte ein derartig bahnbrechender Reformschritt auch in Deutschland unter der Leitung des renommierten Psychiaters und Lehrbuch-Autors Prof. Dr.Dr. Klaus Dörner (87, im Bild re. mit Schriftleiter Erich M. Hofer beim LAZARUS-Pflegekongress 2016): Als damaliger Klinikvorstand repatriierte Prof. Dörner mehr als 450 psychiatrische Langzeit-Klinikpatient*innen erfolgreich in deren häusliches und soziales Umfeld. Diese Reformen in Deutschland und Österreich gingen auf bahnbrechende Vorarbeit einer progressiven Psychiatrischen Klinik in den frühen 1970-erjahren in Italien zurück.
Der PSD-Wien – der im Jahr 2019 sein 40-Jahresjubiläum gefeiert hat – behandelt, berät und betreut derzeit mehr als 12.000 Patient*innen jährlich in zahlreichen außerklinischen Einrichtungen und Diensten, die im Sinne einer Integrierten Versorgung niederschwellig erreichbar sind (lt. Homepage):
Zur Behandlung für Menschen mit psychischen Erkrankungen stehen acht Sozialpsychiatrische Ambulatorien, ein Psychiatrischer Krisendienst (Psychiatrische Soforthilfe), ein Institut für Psychotherapie, ein Institut für Psychiatrische Frührehabilitation, ein Ambulatorium für Sozialpsychiatrie für Menschen mit Behinderung und Autismuszentrum, ein Ambulatorium für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie ein Gerontopsychiatrisches Zentrum zur Verfügung. Die Behandlungs- und Beratungszentren des PSD-Wien sind über das gesamte Stadtgebiet verteilt, der Zugang ist allen Betroffenen ohne Zuweisung möglich.